Der Stein der Weisen
Ein Junge spielt mit einem Stein
klein, unscheinbar und rund.
Er trägt ihn zu der Mutter rein
und zeigt ihr stolz den Fund:
„Schau, Mama, diesen Edelstein
hab’ ich gesucht für Dich!
Er soll für Deine Kette sein,
sag, Mama, freust Du Dich?“
Die Mutter küsst den Sohn zum Dank,
dann setzt man sich zum Essen.
Der Stein liegt oben auf dem Schrank
und ist schon halb vergessen.
Doch nachts im Traum sieht sie den Stein
in einer Felsenwand,
sie sieht, wie er und alles Sein,
die ganze Welt entstand.
Sie sieht, wie Eis und Sonnenglut
die Felsenwand zerstemmt,
wie eine große Wasserflut
Felsbrocken mit sich schwemmt.
Ein Bach schiebt dann das Felsenstück
gemächlich vor sich her,
manch einem Fischlein dient’s zum Glück
und schützt’s vor dem Verzehr.
Sie sieht, wie einst ein Haus erbaut
mit diesem Felsgestein,
dort wurd’ gelacht, geliebt, vertraut,
verlassen fiel es ein.
Sie sieht auch, wie ihr kleiner Sohn
im Stein die Welt entdeckt.
„Was ich grad’ lern’, das weiß er schon,“
denkt sie und wird geweckt.
Am Morgen trägt zum Goldschmied sie
den grauen Kieselstein.
Der pfeift ’ne leise Melodie
und fasst ihn lächelnd ein.